David-Schuster-Realschule nimmt an Stolpersteinprojekt teil – Jugendliche wollen Vergangenheit wachhalten – Ein Weg zur Verständigung
Würzburg (POW) In Würzburg sieht man sie an beinahe jeder Ecke. Manchmal sind es einzelne, manchmal liegen sie in einer Gruppe von bis zu 40 goldenen Steinen. Die Stolpersteine. Was hat es damit auf sich? Das haben sich 25 Schülerinnen und Schüler der David-Schuster-Realschule in Würzburg gefragt. Sie haben sich zum freiwilligen Stolpersteinprojekt der Realschule angemeldet. „Viele Menschen sind sich nicht bewusst, was überhaupt Stolpersteine sind“, erzählt Schüler Ahmed
Zubaidi (16) beim Projektauftakt im jüdischen Zentrum Shalom Europa. Er selbst weiß es auch erst seit Kurzem. „Bis jetzt kannte ich nur den einen vor unserer Schule“, sagt Laura Geißler (15). Und David Cucerzan (15) beschreibt, wie er schon öfter nach den Steinen gefragt hat. Eine zufriedenstellende Antwort hatte er bislang nicht bekommen.
Das dürfte sich nun ändern. Im kommenden Jahr wollen die Jugendlichen etwa 60 der über 700 Steine in Würzburg für die „Stolpersteine Würzburg“-App digitalisieren. Zu den Namen auf den Steinen sollen kurze Lebensläufe in der App entstehen. Stehen Passantinnen und Passanten neben einem Stolperstein, bekommen sie in der App die Geschichte des Holocaust-Opfers angezeigt. Die Schülerinnen und Schüler werden die Steine putzen und fotografieren, Lebensläufe der Holocaust-Opfer lesen und gegebenenfalls mit Deportationslisten und Geburtsurkunden arbeiten.
Initiiert hat das Projekt der App-Entwickler selbst. Oded Zingher ist ein 80-jähriger Israeli, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt. Ihm liegt die Arbeit mit den Jugendlichen am Herzen. Er möchte mit den
Jugendlichen „über den Holocaust sprechen natürlich, aber vor allem über Demokratie und was das bedeutet“, sagt er. Er hofft, dass sie durch die Arbeit an den Steinen verstehen, was es bedeutet, in einer Demokratie zu leben, wie leicht zerstörbar sie ist und wie schwierig wiederzugewinnen. „Die Schüler sind ja unsere Zukunft“, sagt er.
Deshalb gehört zu dem Projekt auch ein Austausch mit einer israelischen Schule. Den Jugendlichen werden Austauschpartner zugeteilt. Sie treffen sich regelmäßig bei Zoom-Meetings in der Gruppe oder verabreden sich zu zweit – zum Unterhalten oder Zocken. Außerdem werden die israelischen Jugendlichen die Lebensläufe für die App auf Hebräisch übersetzen und mit Informationen aus den Archiven Israels vervollständigen. Mit Nachfahren sprechen? Vielleicht auch das, meint Zingher. Er hofft, dass sich die Schülerinnen und Schüler untereinander anfreunden und Neues über beide Länder lernen. Vielleicht bleiben die Freundschaften auch über das Projekt hinaus bestehen.
Das hofft auch Lehrerin Henrike Dülk. Sie unterrichtet Deutsch, Geschichte und Politik an der Realschule und bietet das Projekt zum zweiten Mal in diesem Jahr an. Sie möchte einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass sich ihre Schüler „untereinander auf einer anderen Ebene verstehen, tolerieren und akzeptieren lernen“. Schon in der deutschen Schülergruppe sind viele verschiedene Nationalitäten vertreten. Auch einige Jugendliche mit arabischen Wurzeln nehmen teil. Gleichzeitig sei Antisemitismus für sie schon immer unerträglich gewesen, sagt die Lehrerin. Und eine lebende Erinnerungskultur liegt der Schule mit dem jüdischen Namen am Herzen. Dülk wünscht den Jugendlichen daher, neben Erfolg und Freude über die Ergebnisse am Ende, dass sie „über Grenzen hinweg denken, dass Krieg nicht die Lösung sein kann“.
Aber warum machen eigentlich die Jugendlichen bei dem Projekt mit? Investieren zum Teil ihre Freizeit, wenn sie am Wochenende mit Schwamm und Putzmittel losziehen oder recherchieren? „Ich interessiere mich sehr für diese Kultur und auch die Vergangenheit“, sagt David Cucerzan. Er möchte helfen,
Informationen zusammenzutragen, und freut sich auf die Zusammenarbeit, aber auch, neue
Freundschaften im Austausch zu knüpfen. Auch Laura Geißler interessiert sich dafür, was mit den Juden im Zweiten Weltkrieg passiert ist. Sheaw Aghai (14) sagt: „Ich finde, es ist ein wichtiges Thema, wo man mitarbeiten sollte.“ Die Vergangenheit sollte nicht vergessen werden. Für ihn war auch der Krieg zwischen Israel und Palästina ein Grund, teilzunehmen. Er sagt, er beschäftige sich zwar nicht intensiv mit dem Konflikt, aber „das hört man ja überall in den Nachrichten“. Die Schülerinnen und Schüler im Projekt wird der Krieg weiter beschäftigen – wenn sie zu den Gruppentreffen an den Wachleuten vorbei ins Shalom Europa gehen, wenn sie mit ihren Austauschpartnern sprechen und wenn es um die Frage geht, ob sie sich besuchen können. Vielleicht klappt es ja, dass sie sich gegenseitig ihre Heimat zeigen.
Christina Denk (POW)